
Späte Freundschaft
Zugegeben, ich habe unser Hochbeet im Frühjahr schon was vernachlässigt. Aber dann suchte ich im August Platz für den erstmalig vorgezogenen Grünkohl und setzte vier Pflänzchen ins Hochbeet. Am Rande lümmelte sich zu der Zeit nur ein Borretsch herum, ihn lies ich drin, da er sich optisch eh davon zu machen schien, haltlos hinauswucherte, kopfüber blühend.
Der Grünkohl gedieh, nur vereinzelt probierten ihn Schnecken und hungrige Raupen, aber das war kontrollierbar. So wuchs er heran und sein krauses Blattwerk schloss sich über dem Hochbeet. Dann aber begann er zu blühen im schönsten Blau. Nein, er war’s natürlich nicht – es war der Borretsch. Dieser war quasi ins Hochbeet zurückgekehrt, im dichten Grünkohlblattwerk fand er Halt und seitdem streckt er seine Blüten himmelwärts.
Da haben sich zwei gefunden, denke ich, eine Freundschaft auf Zeit, vom späten Sommer an bis in den tiefen Herbst. Zwei, die sich inspirieren und ergänzen, die sich über Monate die eng begrenzte, aber tiefgründige und humusreiche Erde im Hochbeet teilen.
Aber passen sie überhaupt zusammen? Der Grünkohl, der erst zur kalten Jahreszeit zum Helden im Gemüsebeet wird und der Borretsch, der den Frost fürchtet?
Ein Held ist oder war der Borretsch dennoch, über Jahrhunderte ein Star der Kräuterküche und Naturmedizin, er half besonders dem Gemüt, man machte aus ihm „was das Herz erleichtert, die Sorgen vertreibt und den Geist erhebt“ (siehe Wikipedia). Heutzutage hat er diesen Heldennimbus ziemlich eingebüßt, er wird wegen diverser Inhaltsstoffe kritischer gesehen. Nur im Samen, so heißt es, stecken diese nicht drin, so wird das Öl aus Borretschsamen hoch gepriesen – der Liter kostet allerdings auch an die 100 Euro.
Während beim Borretsch die Kraft im Samen steckt, sind es beim Grünkohl die Blätter, die Dank der Inhaltsstoffe in den letzten Jahren Heldenstatus erlangten, sprich zum Superfood-Star wurden – statt stundenlang als Eintopf zu köcheln geht’s heute ab in den Mixer, kalt gerührt.
Die Freundschaft von Grünkohl und Borretsch in diesem, meinem Hochbeet wird enden. Spätestens mit dem ersten Frost heißt es Abschied nehmen. Und im kommenden Jahr braucht der Grünkohl einen anderen Platz, der Borretsch wird irgendwo wieder auftauchen, da ist er ganz selbständig. Vielleicht treffen sie sich ja dann nebenan im Hochbeet, dort wo jetzt zum Ausklang des Gartenjahres die Kapuzinerkresse noch rankt und blüht und sich kleiner weißer Kürbis rekelt.